Syrische Familien, die vertrieben wurden und in der Provinz Idlib Zuflucht suchten, leben in prekären und gefährlichen Verhältnissen. Die meisten Vertriebenen haben alles verloren und leben in unwirtlichen Camps. Idlib ist die letzte Hochburg der Opposition und wird regelmäßig von der syrischen Regierung und ihren russischen Verbündeten bombadiert.
Trotz der Ankündigung eines einseitigen Waffenstillstands startet Russland zwischen Dezember 2019 und März 2020 eine erneute Offensive. Eine weitere Million Menschen in den Provinzen Idlib und Aleppo werden zur Flucht gezwungen. Es ist die größte Vertreibung in zehn Jahren Syrien-Krieg. Die meisten der Menschen sind in mehr als 1.000 informellen Camps untergebracht, die nur über eine unzureichende Grundversorgung verfügen. Besonders prekär ist die Lage in Dana, einem der am dichtesten besiedelten Bezirke Idlibs. Medizinische Versorgung ist dringend nötig, aber nur schwer zu erhalten. Vor Kriegsbeginn gab es knapp 600 Gesundheitseinrichtungen in Idlib und Aleppo, jetzt gerade einmal noch 300.
Mustafas Geschichte
Mustafa Ajaj betreibt eine Gesundheitseinrichtung im Lager Deir Hassan in Idlib. Mustafa, der aus Anadan in der Provinz Aleppo stammt, wurde bereits sechs Mal vertrieben. Seit Beginn des Krieges hat der Vater von fünf Kindern unerbittliche und gezielte Angriffe auf medizinisches Personal und Einrichtungen erlebt.
Medizinische Hilfe wird im Syrien-Krieg von Beginn an in Visier genommen.
2012 verabschiedet die syrische Regierung ein Gesetz, das medizinische Aktivitäten in von der Opposition kontrollierten Gebieten verbietet. Durch die zusätzliche Zerstörung von Gesundheitsstationen werden der Bevölkerung lebenswichtige Dienste entzogen. Das Leben von Patient*innen wird aufs Spiel gesetzt. Viele Menschen suchen keine medizinische Hilfe auf aus Angst bombardiert, verhaftet oder gefoltert zu werden.
Obwohl wir von der syrischen Regierung nicht autorisiert sind, medizinische Hilfe im Land zu leisten, beschließen wir in den von der Opposition gehaltenen Gebieten zu arbeiten. 2012 werden zwei Krankenhäuser in der Provinz Idlib und ein drittes in Aleppo eingerichtet. Im Juni wird in einem Haus in Atmeh eine unfallchirurgische Station eröffnet.
Um sich vor den wiederholten Angriffen auf medizinische Einrichtungen zu schützen, arbeitet das Team des Krankenhauses Jabal Al-Akrad in einer unterirdischen Höhle und anschließend in einem Bauernhaus, das zur Notaufnahme mit Operationssaal umfunktioniert wird. Heimliche medizinische Unterstützung ist Alltag geworden.
2012 liefern wir tonnenweise Medikamente und medizinische Hilfsgüter an Gesundheitsstationen in den Provinzen Aleppo, Damaskus, Daraa, Hama und Homs. Im Februar wird Homs nach monatelangen Kämpfen zwischen Rebellen und regierungstreuen Truppen mehrere Wochen lang schwer bombardiert.
Tareks Geschichte
Der Journalist Tarek Baderkhan stammt aus Homs. Als die Proteste in seiner Heimatstadt begannen, filmte er eine Demonstration. Auf den Aufnahmen waren auch regimetreue Sicherheitskräfte zu sehen. Nur wenig später fand er sich im Gefängnis wieder, erlebte Folter in verschiedenen Stationen und landete schließlich im Zentralgefängnis der mittlerweile belagerten Stadt.
Abu Alaas Geschichte
Der Kampf um Homs und die Belagerung der Stadt zwangen Abu Alaa und seine Familie zur Flucht. Doch auch in Idlib, wo sie schlussendlich landeten, sind sie nicht sicher. Drei Luftangriffe in unmittelbarer Nähe seines Hauses hat der 60-Jährige dort bereits erlebt.
2015 zählen wir 94 Luft- und Raketenangriffe auf 63 von uns unterstützte Gesundheitseinrichtungen. Zwölf zerstören ihre Ziele und töten oder verwunden 81 der medizinischen Mitarbeiter*innen. Die Zahlen sind noch alarmierender, wenn man bedenkt, dass die von uns unterstützten Stationen nur einen Bruchteil der Gesundheitseinrichtungen in Syrien ausmachen. 30 bis 40 Prozent der Gewaltopfer, die in den von uns unterstützten Gesundheitsstationen behandelt wurden, sind in diesem Jahr Frauen und Kinder - ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch Zivilist*innen gezielt angegriffen werden.
Am 15. Februar 2016 bombardieren syrische Streitkräfte und ihre russischen Verbündeten das von uns unterstützte Krankenhaus in Maarat Al Numan in Idlib. Vier Raketen treffen das Gebäude bei zwei Angriffen innerhalb weniger Minuten, töten 25 Menschen und verletzen elf. Es ist der dritte Angriff auf das Krankenhaus seit Beginn des Krieges. Diese Doppelschlag-Strategie konnten wir bereits zuvor bei anderen Luftangriffen auf medizinische Einrichtungen in Syrien beobachten. Die Ziele werden ein zweites Mal angegriffen, wenn die Helfer*innen vor Ort sind, um die Opfer des ersten Angriffs zu versorgen.
Dr. Mazens Geschichte
Dr. Mazen Al Saud erlebte die Zerstörung der Stadt Maarat Al Numan hautnah. Er musste miterleben, wie Kolleg*innen und Patient*innen bei gezielten Luftangriffen auf die Klinik von Ärzte ohne Grenzen, in der arbeitete, getötet wurden.